Rundgang entlang der einstigen Stadtmauer

Seit dem Jahre 1190 hatten die Her­ren von Bolanden Hoheitsrechte über Pfeddersheim inne, die einige Zeit später auf die mit ihnen ver­wandten Herren von Hohenfels übergingen. Unter diesen ist erst­mals aus Verträgen von 1276 eine Orts­befestigung überliefert, die zu jenem Zeitpunkt wohl in erster Linie aus Erdwällen und Holz­palisaden bestand.

Mit der Stadterhebung unter König Albrecht von Österreich zwischen 1304 und 1308 dürften die Befesti­gungsanlagen verbessert und aus­gestaltet worden sein. Jedenfalls werden in einer Urkunde König Karls von 1349 sowohl ein Befestigungs­graben und Brücken als auch Stadt­mauern genannt. Aus dem Jahre 1499 erfahren wir, daß Pfedders­heim aus Gründen der Sicherheit Männer unter die Waffen rief, um die Gefahren abzuwenden, die sich bei hartnäckigen Streitigkeiten zwi­schen der Stadt Worms und ihrem Bischof zeigten und die sich auch auf die örtliche Umgebung auswirk­ten. Im Zuge dieser Entwicklung wurde auch die Stadtbefestigung von Pfeddersheim vervoll­ständigt. Die heutigen noch vorhandenen An­lagen, vor allem der größte Teil der Wehrtürme, stammt aus der Zeit um 1500. Auf einem alten Stadtplan von 1525 sind außer drei Stadttoren im Verlaufe der Ringmauer zehn Wehr­türme und eine Vielzahl von Halbtürmen dargestellt. Diese Befesti­gungsanlagen waren ergänzt durch einen Stadtgraben, der vor allem im Norden tief ausgeschachtet war, und im Süden, gefüllt mit dem Wasser der Pfrimm, als natürliche Schutzanlage diente. Ein Teil des Stadtgra­bens im Norden, wo heute in einer noch deutlich erkennbaren Gelän­desenke Hausgärten angelegt sind, diente als Schießgraben für die Wehrausbildung der Bürger.

In der Folgezeit, insbesondere wäh­rend des Bauernkrieges im Jahre 1525 und im 30jährigen Krieg, nah­men die Befes­tigungsanlagen große Schäden, die etwa ab 1655 durch Instandsetzung behoben worden sind. Bereits auf dem Merian-Stich von 1645 zeigt sich Pfeddersheim »turmreich«: Nicht nur die das Orts­bild beherrschende Kirche mit ihrem hohen Turm, der im Mittelalter wohl auch Bestandteil der Stadtbefesti­gung war, hat Matthäus Merian dar­gestellt. Ebenso zeigt sein Stich zehn Wehrtürme im Verlaufe der Stadtmauer, wie aus der Abbildung entnommen werden kann.

Die Wehrtürme

Von den früheren zehn Wehrtürmen sind heute noch neun ganz oder teil­weise vorhanden. Durch ihre massive Bauweise mit Mauerdicken bis zu 1,20 m bildeten sie ortsbezogene Schwerpunkte für die Stadtverteidi­gung, zugleich waren sie für die Bür­ger letzte Zufluchtsstätten in be­drängten Angriffszeiten. In den teils runden, teils rechteckigen Türmen waren in den Unter­geschossen Vor­ratsräume untergebracht, während in den oberen Teilen Wachstuben ein­gerichtet waren. Auf den Türmen selbst standen Geschütze, die in Frie­denszeiten wohl durch Holzdächer abgedeckt waren.

Der Aulturm

Beginnen wir mit dem Rundgang bei dem an der Nordostecke gele­genen Rund­turm, der den Namen »Aul­turm« trägt und heute noch für Wohn­zwecke genutzt wird. Er war und ist einer der höchsten Stadt­mauertürme. Auch in Worms nannte man den einzigen Rundturm in der äußeren Stadt­befestigung bei Maria Münster »Die Aul«, ein Name, der auch sonst für runde Türme in alten Stadtbe­festigungen vorkommt. Der Pfeddersheimer Aulturm galt in früherer Zeit als das am meisten gefürchtete Gefängnis. Heute ist er infolge der Wohnnutzung einer der am besten erhaltenen Wehrtürme des alten Pfeddersheim.

Der Turm ist aus Bruchsteinen aufgebaut. Gesims und Dach des Turmes fehlen. Die vorhandenen Fenster sind zum Zwecke der späteren Wohnnutzung nachträglich eingebaut worden. Vom Aulturm in westlicher Richtung ist noch heute der ehemalige Stadtgraben als ausgeprägter Geländeeinschnitt erkennbar. Im Jahre 1818 wurde dieser Graben an die Anwohner verkauft, die bis heute dort ihre Hausgärten angelegt haben.

Der Türturm

Auch der zweite Turm auf unserem Rundgang in westlicher Richtung ist ein Rundturm, der im Volksmund den Namen »Türturm« hat, weil sich in halber Höhe ein markanter Eselsrücken-förmiger Türeingang befin­det, zu dem man nur mit einer Leiter emporsteigen kann. Auch der Tür­turm, der oben mit einem vorgekragten Rundbogen­fries ausgestattet ist und auch dessen Bedachung nicht mehr existiert, diente gemeinsam mit dem Aulturm zur Verteidigung der nordöstlichen Ecke. Er stand genau in der Mitte zwischen dem Aulturm und dem Nordeingang der heutigen Leiselheimer Straße, der »Herrnsheimer Pforte«, die im Jahre 1820 ebenso wie die »Monsheimer Pforte« im Westen und die »Wormser Pforte« im Süden abgerissen wurde. Die Decke des Türturms wurde zuletzt 1984 aus Erlösen des ersten Altstadtfestes abgedichtet und dringende Sicherungs­maßnahmen an der Brüstung und am Mauerwerk werden gegenwärtig durchgeführt.

Der Johannisturm

Ein in seiner äußeren Bausubs­tanz noch gut erhaltener rechteckiger Turm etwa 200 m westlich vom Tür­turm ist der »Johannisturm« in der St.-Georgen-Straße, der im großen Bauernkrieg nördlich der Orts­lage von Pfeddersheim anno 1525 eine besondere Rolle gespielt hat: An dieser Stelle, wo der Berghang von Norden her nahe an den Stadtgra­ben herantritt, bestand bei Angriffen infolge der Geländegestaltung eine besondere Gefährdung für den Ort.

Der auf beiden Seiten zwischen Häusern eingeschlossene Johannis­turm ist oben mit einem vorspringenden Rundbogenfries geschmückt. Über diesem befindet sich ein gezinnter Umgang, an dem auf jeder Seite zwei Schlitze und drei Wim­perge sind. Auf der Plattform des Johannisturms steht noch ein pyrami­denförmiger Aufbau, um den ein ausgezackter Stein­kranz gelegt ist. Der Turm ist nach außen kompakt ge­schlossen, nur eine viereckige Schar­te ist nach dem Graben gerichtet. Die auf der Westseite befindliche rundbogige Tür führte vermutlich zum Wehrgang der Stadtmauer.

Der Hohe Turm

Auf dem weiteren Rundgang nach Westen treffen wir am Cästrich auf den »Hohen Turm«, der seinen Na­men von der höchsten Stelle des nördlichen Verlaufes der früheren Stadtbefestigung hat. Er war in sei­ner reckteckigen Gestalt ur­sprüng­­lich mit Zinnen ausgestattet.

Diese Stelle, wo der Hang des St. Georgenberges von Norden her nahe an den ehemaligen Stadtgraben her­antritt, war wie auch der Bereich am Johannisturm bei Angriffen stark ge­fährdet und deshalb besonders ge­schützt. Außer dem Hohen Turm sprangen ehemals noch fünf Halb­türme - zwei ostwärts- und drei westwärts orientiert - aus der Mauer her­vor, und auch die in diesem Bereich dicht an der Stadtmauer herantre­tende Kirche mit ihrem trutzigen Turm konnte im Notfall zur wachsamen Beobachtung benutzt werden. Die Halbtürme sind - soweit überhaupt noch vor­handen - im Laufe der Zeit in die Wohn­bebauung einbezogen worden und heute nur noch andeutungs­weise erkennbar. An einigen Stellen ist in diesem Bereich auch noch die alte Stadtmauer vorhanden. Es gilt aus Sicht der Denkmalpflege, diese als geschützte Anlagen zu bewahren. Der Hohe Turm ist in jüngster Zeit stil­voll restauriert worden und oben durch ein nach vier Seiten ausge­richtetes Dach geschlossen worden. Er dient jetzt auch der Wohnbenut­zung.

Der Sprenger

An der nordwestlichen Biegung der früheren Stadtmauer steht am Cästrich - nur ein Steinwurf vom Hohen Turm entfernt - der runde »Spren­ger«, auch »Lenhardsturm« ge­nannt, der vier Turmetagen aufweist, die noch bis zu Beginn des Jahrhun­derts für Wohnzwecke benutzt wur­den. Deshalb hat man auch größere Fenster in das Mauerwerk gebro­chen, während zur Grabenseite noch alte Schießscharten erhalten sind. Den oberen Abschluß mit einer Plattform bildete bis vor kurzem ein Rundbogenfries. Vor kurzem wurde der Sprenger vom Eigentümer umfas­send restauriert, inzwischen wurde ein mit Fachwerk durchsetzter Auf­bau mit einem nach oben ab­schließenden spitzförmigen Dach errichtet. Am »Tag des offenen Denk­mals« 1998 wurde der Spren­ger wegen der stilvollen Restaurie­rungsarbeiten auf Veranlassung der Denkmal­behörde der Öffentlichkeit vorgestellt.

Halbturm

halbturmSüdlich des Sprengers in der Ring­straße ist noch ein Teil der alten westlichen Stadtmauer mit einem Halbturm relativ gut erhalten. Die halbrunde Turmschale weist einen Rundbogen­fries mit Zinnenkranz auf. Von der Westseite wirkt der Turm wie ein Vollturm, während er zur Stadtseite hin offen ist, nur die hölzernen Einbauten mit den Vertei­digungsplattformen sind nicht mehr erhalten. Auch dieser Teil sollte als Ensemble der mittelalterlichen Stadt­befestigung wie alle Wehrtürme vor weiterem Zerfall unbedingt bewahrt werden.

Auf dem weiteren Rundgang durch die Ringstraße vorbei am Standort des nicht mehr vorhandenen »Knüttel­berger Turmes« und entlang der Südseite des Rathauses treffen wir auf den jüngsten Stadtturm.

Der Bürgerturm

Es ist der »Bürger­turm« oder auch »neue Turm«, der in seinem un­teren Teil bis vor einiger Zeit noch bewohnt wurde und der als einziger der neun Türme nicht in privatem Ei­gentum ist und der Stiftung Hospitalfonds gehört. Eine Bauinschrift zeigt das Pfedders­heimer Wappen, die Jahreszahl 1611 und den Text: Bav-meister / Mattes / Albrecht / Jakob. Weickel. Mattes Albrecht und Jakob Weickel waren ab Martini 1610 für das Geschäftsjahr 1610/11 in Pfeddersheim als Bürger­meister (?) tätig. Daran soll wohl diese Inschrift erin­nern, die vermutlich erst nachträg­lich angebracht worden ist, weil der Turm schon auf dem alten Stadtplan von 1525 dargestellt ist. In den letzten Jahren wurde der Bürgerturm mit dem dazu gehörenden kleinen Wohnhaus stilgerecht restauriert. Bei geführten Rundgängen können interessante Einblicke und vom Turm auch Ausblicke über das alte Pfeddersheim gewonnen werden.

Noch erhaltene Stadtmauer mit dem »Eckturm«

Weiter in Richtung Osten gelangen wir an der Südostecke der früheren Stadtbefestigung zum »Eckturm«, der auf rechteckigem Grundriß in­nerhalb des ehemaligen Bundeswehrgeländes steht und der im Zuge weiterer Nutzungsentwicklungen die­ses Geländes künftig für die Öffentlichkeit zugänglicher gemacht werden soll.

Der massive Turm, der im oberen Teil seit längerer Zeit in größerem Umfange zerstört ist, stand schief versetzt in der ehemaligen Stadt­mauer und springt stark vor.

 Der Rote Turm

Weiter verlief die Stadtmauer in nördlicher Richtung bis zum näch­sten Turm, dem recht­eckigen »Ro­ten Turm«, der eben­falls im ehemali­gen Bun­deswehrge­lände auf dem einstigen Auslaß des Mühlbaches steht. Dies war ein Schwach­punkt inner­halb der östlichen Stadtbefesti­gung, daher wurde bewußt an dieser Stelle ein wehrhafter Turm errichtet. Jüngst ist dieser Turm ebenfalls renoviert und mit einem Dach gesichert worden. Interessant ist das Kreuzgrat­gewölbe im Erdgeschoßraum des Roten Turmes.

Der Pulverturm

Der Kreis des Rundganges schließt sich beim runden »Pulverturm« in der kleinen Burgstraße, der etwa in der Mitte der ehemaligen öst­lichen Stadtmauer nur 100 Meter vom eingangs beschrie­benen Aul­turm steht und in dem - wie der Name sagt - die städt­ischen Pulvervor­räte aufbewahrt wurden. Der Turm ist nicht besonders hoch, aber noch komplett erhalten. Im Rahmen einer »Mach-Mit-Aktion« des Südwest­funks wurde der Turm im Jahre 1996 dank ehrenamtlicher Aktivitäten Pfeddersheimer Bürger von seinem früheren stark wuchernden Efeu­kleid befreit und das Mauerwerk gründlich gesäubert und repariert. Zur westlichen Stadtseite hin hat der Turm ein spitzbogiges, gotisches Portal mit der Jahreszahl 1554. Ein vorspringender Mauerkranz deutet die ehemalige Verteidigungsplatt­form an. Die Stube im Obergeschoß stammt in ihrer jetzigen Form aus dem 19. Jahrhundert und ist nur von außen über eine Leiter erreichbar.

Letzenmeister und Frondienste

Die ehemals freie Reichsstadt Pfeddersheim organisierte die Bürger­schaft zur Verteidigung in einzelne Gruppen, die »Letzen« genanntwur­den. Diese umfaßten jeweils natür­lich abgegrenzte Stadtviertel, deren Bewohner einem »Letzenmeister« als militärischem Befehlshaber un­terstanden. Die Letzenmeister han­delten wiederum nach den Anwei­sungen und Beschlüssen des Bürgermeisters und des Stadtrates. Je­dem der insgesamt zehn Letzen war ein bestimmter Verteidigungsab­schnitt an der Stadtmauer übertra­gen worden, dessen örtlicher Schwerpunkt jeweils ein Wehrturm bildete. Die Letzenmeister mußten sich um den baulichen Zustand der Mauern und Türme kümmern, eben­so um die Erhaltung und Funktions­fähigkeit der Geschütze, Waffen und Geräte. Bei dieser Arbeit standen ihnen die Stadthandwerker, insbe­sondere der Stadtschmied, zur Ver­fügung.

Die Unterhaltung der Stadtbefesti­gung war aber auch eine Verpflicht­ung für die einzelnen Bürger. Sie mußten bei Reparaturen oder Aus­bauten in Form sogenannter »Stadt­fronen« aktiv mitwirken.

Dies geschah in der Weise, daß sie Materialien herbei schleppten und gröbere Arbeiten erledigten, wäh­rend die eigentlichen Bauarbeiten geübte Spezialisten ausführten.

Die Stadträte unterrichteten sich durch regelmäßige Ortsbesichtigun­gen von dem baulichen Zustand der Wehr- und Befestigungsanlagen. Strenge Verordnungen verboten das Betreten der Gräben vor den Mauern, um etwaige Beschädigun­gen zu verhindern.